Schüler übernehmen den Bundesrat
Lautes Tuscheln und diverse Gelächter verdeutlichen die gespannte Erwartung bis die Stimme des neuen Bundesratspräsidenten Büchner durch den modern eingerichteten Raum ertönt. Nur wenige Minuten zuvor hatten die Vertreter der Länder den Bundesrat zum ersten Mal betreten.
Die fremdartigen Bundesratsmitglieder sind wir, die Schüler des Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasiums Rathenow. Aufgrund einer Exkursion des Unterrichtfaches Politische Bildung wurden wir erst im Bundesrat in Empfang genommen. Besonders beeindruckend ist der Marmorsaal, in dem wir der Geschichte des historischen Gebäudes lauschen. Alle sind unerwartet still und beobachten mit großem Interesse die sogenannte Wandelhalle. Sie vereint Vergangenheit und Gegenwart, sowie Historie und Moderne. Die Kunstillustration- die drei Speere an der Decke- repräsentieren außerdem die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik Deutschland. Man kann sich der Kunst in diesem Raum nicht entziehen, ebenso wenig wie der Politik in unserer Gesellschaft- sofern Politik kunstvoll ist.
Auch der zeitgemäße und frisch riechende Plenarsaal ist beeindruckend. Wieder hören wir gespannt zu, beobachten von der Besuchertribüne aus einige Bundesratsangestellte zwischen den Sitzreihen hin- und herlaufen und stellen uns vor, wie es wäre, wenn das Plenum und die Presse anwesend wären. Das passiert aber nur zehn bis zwölf Mal im Jahr. Dann wird die Änderung einiger Grundrechte überprüft, sich um die Verwaltung der Länder oder europäische Angelegenheiten gekümmert. Also wird es Zeit, dass wir ins Spiel kommen. In einem Nebenraum setzen wir uns an zwei langgestreckte Tische. Auf ihnen stehen Schilder mit den einzelnen Bundesländern. Vor mir ist Mecklenburg-Vorpommern zu lesen. Das Thema unserer ´Bundesratssitzung´ heißt Fahrprüfung für Senioren ab siebzig.
Wir bekommen kurz Zeit, um uns mit unserem Banknachbarn auszutauschen. Dann eröffnet einer unserer Mitschüler als Bundesratspräsident die Sitzung und eine Mitschülerin schildert die Situation als ein Teil der Bundesregierung. Anschließend haben wir, als Vertreter der Länder, die Möglichkeit Änderungsvorschläge zu präsentieren, die zuvor als Änderungsantrag beim Bundesratspräsidenten abgegeben wurden. Ich hebe die Hand und der Name meines Bundeslandes ertönt. Mit Aufregung gehe ich zum Rednerpult und verlese die Stichpunkte. Auch andere präsentieren ihre Wünsche. Danach wird es Zeit über das Gehörte abzustimmen. Dazu verkündet der Bundesratspräsident noch einmal die einzelnen Änderungsvorschläge. Ein Vertreter pro Bundesland hat nun die Chance im Sinne seines Landes durch ein Handzeichen dafür abzustimmen. Einige Male erhebe ich meine Hand und manche Male erfreue ich mich darüber, wenn ein Änderungsvorschlag meines Bundeslandes durchgesetzt wird. Zum ersten Mal kann ich einen Abschnitt des Gesetzgebungsprozesses besser nachvollziehen. Froh bin ich auch über das indische Mittagessen, welches im Anschluss folgt.
Weiter geht es zur Landesvertretung Brandenburgs. Hier erwartet uns schon Martin Gorholt. Er berichtet uns von seinen Aufgaben als Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Brandenburg beim Bund. Dabei sind besonders die Repräsentation und Internationale Beziehungen entscheidend. Außerdem haben wir die Möglichkeit Fragen zu stellen. Ein Mitschüler, Christian Schulze, ist besonders angeregt und hinterfragt den gewählten US-Präsidenten Trump in Bezug auf die europäischen Beziehungen. Gorholt macht deutlich, dass man abwarten, aber aufpassen müsse, dass Europa nicht dezentralisiert werde. Es wird Zeit für uns wieder nach Hause zu kehren, wobei, das anschließende Warten auf den Zug und die Rückfahrt genügend Zeit geben, um sich über das Erlebte und Gehörte auszutauschen. Hierbei zeigt sich besonders der gewonnene Bezug zu den politischen Organen, die nicht länger nur wildfremde Gebäude sind, sondern notwendige Einrichtungen, deren Funktionen uns allen ein wenig deutlicher geworden ist.
Text: Anja Kegel
Fotos: Ronny Birkholz