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Ruth Weiss über das Leben im Dritten Reich und unter dem Apartheidsregime
MAZ Westhavelländer vom 03.09.2013
"Was ist eigentlich normal?" Diese Frage stellte Ruth Weiss Schülern des Jahngymnasiums, nachdem sie ihnen am Montag 90 Minuten lang aus ihrem Leben erzählt und aus einem ihrer Bücher vorgelesen hatte.
Rathenow. Ruth Weiss, Jahrgang 1924, war nach Rathenow gekommen um mit Schülern der neunten Klasse über Diskriminierung im nationalsozialistischen Deutschland und dem Apartheidsregime in Südafrika zu sprechen. "Ich hoffe, dass ihr Fragen stellt und nicht einfach nur zuhört", machte die 89-Jährige gleich zu Beginn ihr Anliegen klar. Und dann tauchte sie ein, in ihre Geschichte, die im Juli 1924 in Fürth begann. Dort wurde sie geboren und dort lebte sie von 1933 bis zu ihrer Ausreise 1936. Zuvor war die Familie nach Hamburg gezogen, der Vater hatte eine Stelle als Kaufmann in der Spielwarenbranche bekommen. Als Ruth Weiss vier Jahre alt war und mit der Mutter den Hamburger Zoo besuchte, kam sie erstmals unmittelbar mit dem Thema Diskriminierung in Berührung. Ein einschneidendes Erlebnis für das kleine Mädchen. Bis heute kann sich Ruth Weiss ganz genau an die Situation erinnern. Sie stand vor einem Gehege in dem statt Tiere Menschen eingepfercht waren. Ein kleiner schwarzer Junge lief darin umher. "Menschen stellt man nicht aus", hatte ihre Mutter damals gesagt.
Was es heißt ausgegrenzt zu werden erfuhr Ruth Weiss wenig später am eigenen Leib. Als die Nazis im Januar 1933 die Macht ergriffen - die Familie lebte mittlerweile wieder in einem kleinen Dorf bei Fürth - besuchte sie die Dorfschule und wurde von einem Tag auf den anderen gemieden. "Plötzlich wollte niemand mehr neben mir sitzen oder in der Pause mit mir spielen." Ruth Weiss war das einzige jüdische Mädchen in der Dorfschule.
Der Vater ahnte, dass die Familie nicht mehr lange in Deutschland sicher ist und verließ das Land. "Die Gesetze ließen keinen anderen Entschluss zu", so Weiss. Drei Jahre später holte er auch seine Frau und seine Tochter nach Südafrika. Mehrere Wochen dauerte die Reise mit dem Schiff. Es sei eine sehr lange und sehr schöne Fahrt gewesen. "Wir sahen die Menschen, das Land, exotische Pflanzen. Mehrmals stoppten wir an der Küste, durften aber nicht an Land gehen." Kontakt zu Kindern der 1. und 2. Klasse war der kleinen Ruth untersagt. Stattdessen spielte sie mit den schwarzen Kindern. Es sollte der erste und vorläufig letzte Kontakt mit dunkelhäutigen Spielkameraden sein, denn in der neuen Heimat wurde ihr der Kontakt zu Kindern anderer Hautfarbe untersagt.
Die Familie lebte in einem weißen Vorort. Hier hatten sich die Nachfahren der ersten Siedler niedergelassen, die sogenannten Buren, was so viel wie Bauern bedeutet. Sie gehörten zur ärmsten Schicht der weißen Bevölkerung und waren nicht sehr gebildet. "Dennoch hielten sie sich für etwas Besseres als die Schwarzen."
Die Diskriminierung war allgegenwärtig. Ruth Weiss berichtet von Stränden, die in Bereiche für Weiße und Bereiche für Schwarze unterteilt waren. Auch Bahnhöfe, Züge und andere öffentliche Plätze waren streng unterteilt. 1948 siegte die Nationale Partei bei den Parlamentswahlen und schuf noch im selben Jahr die gesetzliche Grundlage für die Diskriminierung der Schwarzen. "Das Land war einfach krank", sagt Ruth Weiss. Während ihre Mitschüler es als selbstverständlich ansahen, das Schwarze weniger Wert sind als Weiße, konnte Ruth Weiss nie verstehen, weshalb man Menschen nach ihrer Hautfarbe unterscheidet. Früh kam sie mit Mitgliedern der Anti-Apartheidsbewegung in Berührung und wurde selbst Teil dieser Bewegung. Sie arbeitete als Journalistin und Schriftstellerin, war unter anderem für die Deutsche Welle tätig, schrieb für die Financial Times und den Guardian in London. Ihr Engagement gegen die Apartheid ging so weit, dass sie zur "Persona non grata"erklärt wurde.
Die Zeit am Montag war zu knapp, um auf den Lebensabschnitt einzugehen. Stattdessen nutzten die Zeitzeugin und ihr Begleiter Jörg Stopa, Regionalreferent der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie, die Gelegenheit, um mit Schülern über Diskriminierung und Vorurteile zu diskutieren. Von Christin Schmidt
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